Pimp up your life

Pimp up your life

“Wollen Ihre Kinder noch extra Sahne? Welches Topping? – Schokostreusel, Bunte Streusel, Krokant, Früchte, Mandelsplitter?” – Ich blicke meine Kinder fragend an. Meine Kinder gucken halb freudestrahlend – wegen der Aussicht auf noch mehr Fett und Zucker- , halb überfordert. Was soll ich nur nehmen und was sagt Mama dann zu meiner Entscheidung?

Mit einem Blick, der schreit: “Entscheidet euch bitte, die Schlange hinter uns ist lang und wird gefühlt jede Minute länger!”, schaue ich meine Kinder an. Sie fangen an zu überlegen, “Ich will Schoko. Ich will bunte Streusel oder nein, geht auch beides zusammen? Mama, was ist eigentlich Krokant?”

Die Eisverkäuferin guckt mich an und ihre müden Augen verraten mir, dass sie Ihren Fragefluss bezüglich des Toppings schier 100 Mal am Tag runterrattern muss. Und die anschließende Beobachtung, wie sich zwei Kinder und ihre Eltern in gefühlten zwei Sekunden darauf einigen bzw. einigen müssen, was die angemessene Dosis an Zucker und Fett ist, beobachtet sie wohl auch nicht zum ersten Mal.

“Äh, keine Ahnung!”, rühre ich mich aus meiner Starre. Wir nehmen bitte beide Kugeln mit Schoko”, versuche ich das hier mal abzukürzen. – Großer Fehler, wie sich herausstellte. “Ich wollte kein Schoko, Mama! Ich wollte doch bunte Streusel und Schokostreusel zusammen und noch ein bisschen von diesem Krokant probieren. “Das esse ich so nicht Mama!”, schreit mir meine Tochter mit einer dicken Schnute entgegen. Ich atme tief ein, nehme das Eis und verschiebe diese Diskussion an den Rand des Eiscafés.

Geschlagene fünf Minuten mache ich meinen Töchtern dieses Eis mit Schokostreuseln schmackhaft! – Das Eis läuft mir bei der Hitze schon tröpfchenweise auf die Hand. “Na gut, dann nehmen wir es eben.”, begnadigen mich meine Töchter nach gefühlten Stunden der Argumentation.

Wie viel Flut an Möglichkeiten und Auswahl habe ich eigentlich täglich? Beim belegten Brötchen im Bäcker, bei der Auswahl des Menüs im McDonalds, bei der Kosmetikerin in der Gesichtspflege – mit oder ohne dem neuem Arganöl für extra weiche Haut, Wollen Sie eine spezielle Handpflege?, Augenbrauen färben oder doch nur zupfen? , beim Urlaub (mit oder ohne Frühstück, vegetarisch, vegan?!). – Ich bin ständig konfrontiert mit einer Fülle an Momenten, die mein Sortieren, Abwägen und Antworten erfordern… Ey, beim Eis will ich das nicht auch noch müssen. Diese Fülle an Möglichkeiten sind mir echt zu viel. 

Ich sitze erschöpft auf der Bank beim Eiscafé und schaue meinen Kindern dabei zu, wie sie mit ihrer Kugel Eis über die Wiese springen. Nicht genau das Eis, was sie wollten, aber es geht doch. Sieht nicht aus, als ob es ihnen jetzt komplett missfällt. “Man kann sich damit wohl arrangieren”, schmunzel ich in mich hinein.

Darf mir eigentlich nicht einfach auch mal was nicht hundertprozentig zusagen? Kann ich einfach auch mal leben, ohne alles zu 100% individualisiert und auf mich persönlich zugeschnitten zu haben? Wäre es dann nicht leichter? Was ist das für eine Idee, dass ich mit dem Druck von 15 eiswütigen kleinen und großen Menschen im Rücken, die gefühlt schon 20 Minuten anstehen für ihre Eiswaffel, mich für meinen Individualisierungswunsch entscheiden soll und zwar ein bisschen flotti. Das wird so natürlich nicht verbal geäußert. Blicke und leises Augenverdrehen und Abwenden genügen mir als Reaktion auf meine verminderte Entscheidungsfreude aber völlig. – Man will mir ja schließlich auch was Gutes tun und es genau so machen, wie ich es mir so wünsche. Nichts von der Stange. Nein genau das, was ich mir in diesem Moment brauche.

Aber dafür brauche ich Zeit. Ich will doch in mich hinein fühlen können, auf was ich gerade Hunger habe. Ich will doch nicht unter Druck entscheiden, was ich jetzt gerade möchte, und die Wahl der Zuckerstreusel ist auch auf keinen Fall in diesem Moment lebensnotwenig. Ich wollte einfach nur ein kleines Eis kaufen, ohne viel Tamtam. Stattdessen spüre ich die Überforderung meiner Kinder, jetzt in der Schnelle der Zeit eine passende Antwort zu finden, über die sich diese beiden kleinen Wesen nicht in zwei Minuten selber ärgern, weil eine andere Toppingentscheidung noch perfekter gewesen wäre. Produziere ich mit so viel Auswahl an Möglichkeiten gekoppelt mit zu wenig Zeit zum wirklich bewussten Auswählen, nicht lauter frustrierte kleine und große Menschen, die völlig genervt sind, weil sie immer wieder spüren, dass sie nicht den Raum haben, wirklich in sich hineinzuhören. Ist nicht dieser Überschwung an Möglichkeiten das, was uns in etwas hineinwirft, was immer weniger lebenstauglich wird? Geht denn Eis nicht mehr ohne passendes, individuelles Topping? Geht Kosmetik nicht mehr ohne regenerierende Gesichtsmaske, Augenbrauenzupfen und Wimpern färben? Geht denn die Juniortüte nicht mehr nur mit Burger, Pommes und ner kleinen Fanta? Muss es sein, dass mein Kind das Geschenk selber aussuchen darf? – Warum braucht es überhaupt so ein Plastikspielzeug beim Essen?

Was wäre eigentlich, wenn das Leben weniger Möglichkeiten zur Auswahl und zur Individualisierung bereit halten würde? Oder was wäre, wenn die Möglichkeiten der Auswahl bleiben und wir uns gegenseitig mehr Raum zur Entscheidung und zum Hineinhorchen geben würden? Bei welchen Themen würdest du dich über die Möglichkeit freuen zu individualisieren und bei welchen Dingen würdest du dich freuen, weniger Auswahl zu haben und simplere Entscheidungen treffen zu können?

Dieses Eiscafé verankere ich in meinem Muttersein doch als Ort mit dem Prädikat “Uiii….Potenzielle Kampfgefahr – innerlich mit mir und äußerlich mit meinen Kindern!”


Ach, beim nächsten Mal, da überlegst und diskutierst du halt schon in der Schlage beim Warten mit den Kindern, was sie möchten. Das Angebot ist ja jetzt hinreichend bekannt.

Drei Tage später mit großen Vorsatz stehe ich in der Eiscafé-Schlange und kläre bereits im Vorfeld ab, welche Wünsche meine Kinder bezüglich Eissorte und Topping haben. Die Eisverkäuferin grinst mich an und begrüßt mich nett. Mir scheint, als ob sie unsere Gesichter noch in ihrem Gedächtnis gespeichert hat. 

Ich bestelle: “Kind 1 bitte eine Kugel Schoko mit bunten Streuseln und Kind 2 bitte eine Kugel Vanille mit bunten Streuseln.” – Die Eisverkäuferin schaut mich mit einem mitleidigen Blick an und sagt “ Bunte Streusel sind heute leider aus.”

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