Langeweile…

Langeweile…

Ich blicke in leere Augen…

Sie blicken quasi durch mich hindurch. Irgendwo hinter mich, irgendwo neben mir. 

Diese Augen sind gerade gar nicht hier bei mir. Sie träumen irgendeinen Traum, der hier nicht Realität ist, scheinbar keine Realität sein kann. Vielleicht wandern sie gerade auf dem Mond umher, beamen sich an den Strand oder in die Berge, fahren Schlitten und schreien dabei mit der Freundin um die Wette…

“Wo bist du gerade?” – “Ähhh hier…” Die Augen sortieren sich in Windeseile. Das haben sie schon immer gekonnt. Auf Knopfdruck Präsenz zeigen, funktionieren, Träume abschalten und loslegen nach dem Plan, der nicht ihrer ist und der sich scheinbar von außen überstülpen möchte. 

Suchend wandern diese Augen im Raum umher, versuchen sich an etwas zu heften, um nicht wieder weg zu wandern. Finden meine Augen und suchen leise nach den kleinsten Anzeichen von Vorgabe, Struktur und fremder Zielsetzung. Das Gewohnte einfangen und das abspulen, was die Menschen da draußen verlangen. 

Ich schenke diesen Augen ein Lächeln – Ich will gerade überhaupt nichts von dir! Du darfst wandern, spazieren gehen in deinen Träumen. Du darfst sie spüren, erleben und wahrnehmen und ich bin neugierig darauf zu erfahren, aus welchem Stoff deine Träume bestehen… was du hier gerade vermisst und was hier gerade zu viel, zu wenig oder genau passend da ist…

“Ich sitze so da in der Klasse und manchmal träume ich vor mich hin. Wandere auf den Mond.” – Ich halte es nicht mehr aus, hier zu sein. Nicht aus Wut, nicht aus Traurigkeit, sondern weil es einfach so langweilig ist. Weil es mich nicht interessiert, mich ständig berieseln zu lassen und es dabei einfach so selten wirklich um mich geht. 

Jeder kann hier sitzen, jeder sitzt hier… und ich könnte gerade auch ganz woanders sein: Auf dem Mond, am Meer, in den Bergen. So oft reicht meine Hülle, mein bloßes, stumpfes Abarbeiten von Aufgaben. Sie sind so oft die gleichen, dass ich mich nicht mehr berührt fühle von diesen To Dos. Ich führe leere Aufgaben aus. Ich sitze in diesem Raum, weil ich muss, nicht weil sich jemand wirklich für mich interessiert. Ich sitze hier, weil andere sagen, dass es sein muss. Ich kann das. Ich habe gelernt, das hinzubekommen. Es ist schön, dass ich weiß, dass ich das auf Knopfdruck kann: Funktionieren nach den Regeln des Systems. Ich fühle mich damit auch ein Stück weit sicher – langweilig, aber sicher. Es ist für eine unbestimmte Zeit einfach ok – zwar langweilig, aber ok. Und irgendwann ist diese Langweile, die ich als Körper in diesem System spüre, einfach nur anstrengend, unbequem, ermüdend und kaum noch aushaltbar.

Ich als Mama stelle das Essen auf den Tisch… Nudeln mit Tomatensoße. Das habe ich in diesem Monat bestimmt schon zehn mal gekocht. Die sichere Variante. Das essen meine Kinder zu 90 Prozent immer ohne zu meckern. Ich setze mich auf meinen gewohnten Platz neben dem Fenster… beobachte meine Kinder beim Essen. Mir selbst fehlt der Hunger gerade. Ich würde so gerne mal wieder Sushi essen, Couscous-Pfanne oder mich einfach nur mal liebevoll bekochen lassen. Die Langeweile macht sich in mir breit. Bin ich eigentlich dafür hier, um all diese Strukturen zu erfüllen, bis sie mich aushöhlen? 

Ich spule täglich mein Programm ab. Hake innerliche To Do Listen ab und halte das Gemecker meiner Kinder aus. Ich halte das Gemecker aus, das ich selber manchmal nur allzu gerne aus mir raus schreien würde, wenn ich nicht so müde wäre und wissen würde, dass es nun mal auf dieser Welt Regeln, Ordnung und Strukturen gibt, die meine Sicherheit und die meiner Familie gewährleisten.

Es gab eine Zeit in ihrem Leben, da haben meine Kinder noch mehr protestiert, noch mehr gewütet. Mit zunehmendem Alter merke ich, dass auch sie immer vertrauter werden mit diesem Blick der Langeweile. Sie haben scheinbar gelernt, dass es Strukturen gibt, die nicht umgangen werden können. Danke, dass sie lernen, welche Regeln es in dieser Gesellschaft gibt. Danke, dass es mir das Gefühl gibt, dass auch sie scheinbar sicher sind, weil sie wissen, wie es hier läuft. Danke und verdammt nochmal scheiße, dass auch sie immer mehr lernen, ihr Programm abspulen. Das Programm, was man kennen muss, um in dieser Welt einigermaßen unbeschadet zurechtzukommen. Es hat seine Berechtigung – dieses Programm. Es schenkt ihnen Schutz, Sicherheit und Ordnung, es schenkt mir Schutz, Sicherheit und Ordnung… und in gleichem Maße kommt es nicht ohne diese tief lähmende Langeweilegefühl aus. Mal poppt die Sicherheit hoch, mal die Langeweile, manchmal ist beides zur gleichen Zeit präsent…

…und dann gibt es diesen einen jemand, der fragt, wie es mir geht. Der das ganze hohle Konstrukt von zeitlichem Ablauf, von hohlen To Dos und Checklisten zur Seite schiebt und sich nur für mich interessiert. Der wahrnimmt, dass ich hier sitze und ich keine leere Hülle bin. Einer, der daran interessiert ist, mehr von mir zu erfahren und mich nicht nur abhakt auf seiner Anwesenheitsliste. Nur dieser eine Blick, der sagt: “Ich will gerade überhaupt nichts von dir. Ich will gerade nur einen Raum schaffen, in dem du sein magst. In dem nicht nur die Langeweile dich mit auf Reisen nimmt. Ein Raum, der gefüllt ist von all deinen Träumen, die genau hier sein dürfen in dieser Welt. Ich möchte dich daran erinnern, dass es etwas jenseits dieser Langweile gibt. Etwas, das genauso zum Leben gehört wie diese Struktur, die uns Sicherheit und Ordnung schenkt. Es gibt etwas, das genauso zu diesem Leben dazu gehören darf: Verbindung zu dir selbst – Verbindung zu deinen Wünschen und Träumen, zu deinem Ausdruck und deiner Lebendigkeit. Das, was dir die Energie schenkt, wieder gestalten zu wollen, dich in dieser Welt hier wirklich einzubringen, auszutreten aus dem Abspulen der Aufgaben… Es gibt etwas von dir, das genauso in dieses Leben gehört, wie all deine To Dos und Checklisten – und das bist du! 

Danke, dass meine Kinder lernen zu funktionieren und danke, dass es immer wieder diese tollen Begegnungen und Menschen gibt, die uns daran erinnern, dass es mehr gibt als das.

Kommentare sind geschlossen.