Du bist der Boss!

Du bist der Boss!

„Du bist der Boss!“, rief sie mir lächelnd entgegen. – „Wow!“ … dachte ich… Endlich sieht es mal jemand. Einen Augenblick später stiegen Bilder von Josef Ackermann in mir hoch… nein, schnell schob ich dieses Bild zur Seite… In meinem Kopf drehte es sich für ein paar Sekunden… Ich will nicht der machtgeile Boss sein, dem es darum geht für sein eigenes Wohlbefinden über die wahren Bedürfnisse meiner Mitmenschen um mich herum hinweg zu trampeln und mit Strafen und harten funktionalen Konsequenzen zu drohen. „Ich glaube im Umgang mit meinen erwachsenen Weggefährten gelingt mir das bisher ganz gut!“, attestiere ich mir selber kurzerhand. Doch das Fragezeichen daneben bleibt! Wie ist das denn mit meinen Kindern? … Pause… lange Gedankenpause.

In mir kriecht das ohnmächtige Gefühl hoch, das gestern Abend in mir aufstieg, als meine Kinder beschlossen haben nicht um 20 Uhr wie sonst den Gang ins Bett anzutreten. Es zeichnete sich ab. Durch das Hin und Her und die Flexibilität, die die Corona-Pandemie derzeit von uns Eltern fordert, brodelte es auch bei uns zu Hause hoch, sodass es mittlerweile an vielen Stellen schier unmöglich war, einen zuverlässigen Tagesablauf aufrecht zu halten.

„Mama, gehe ich heute zur Schule?“ wird übertönt vom Ruf meiner jüngeren Tochter „Mama, muss ich heute in den Kindergarten?“… Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich selber erst morgens überlege, welche Antwort darauf eigentlich zu geben ist. Die Flexibilität, die wir hier gerade leben, zeigt sich nicht nur im Außen, sondern sickert zunehmend auch in mein Inneres. Ich beobachte mich dabei, wie ich so langsam bereit bin, Strukturen und Rhythmen in unserem Familienleben zu hinterfragen, abzuwandeln, offener zu gestalten… “Ist das so richtig? Was ist mit Ritualen, Struktur und die daraus resultierende Sicherheit für meine gefühlt immer noch so jungen, kleinen und schutzbedürftigen Kinder?“… und soll ich euch was sagen? „Ich weiß es nicht!“ – Keine Ahnung, ob das der richtige Weg für den Umgang mit dieser Pandemie und den daraus resultierenden ständig wechselnden Gegebenheiten ist… Ich weiß es einfach nicht und das lässt meine Unsicherheit zu sowas wie Entdeckerwut transformieren. Ich spüre gerade wie gut ich mich dabei fühle mir zu erlauben es einfach mal nicht zu wissen.

Auf diesem Nährboden keimt seit kurzer Zeit sowas auf wie „Wer kennt denn schon die Antwort auf solche Fragen in dieser Zeit? Hilft nicht einfach nur es gerade auszuprobieren? Zeigt uns diese Zeit nicht mehr denn je, dass es einfach keine Pauschalabläufe gibt, die es gilt auf Gedeih und Verderb durchzusetzen verbunden mit Strafen für alle Beteiligten bei Nichteinhaltung? Lehrt uns nicht gerade jetzt diese Zeit, dass wir jeden Tag liebevoll und achtsam mit unseren Mitmenschen und vielleicht vor allem mit uns selbst in Kontakt treten sollten?“

Du bist der Boss! Schleicht es sich wieder in meinen Kopf. Ja, nicke ich innerlich… Ja gerne bin ich das. Aber bestimmt kein Josef Ackermann, kein Wirtschaftsboss, der versucht sein Umfeld ins reine Funktionieren im Außen zu bringen. Da ist eine große Klarheit in mir: Ich bin der Boss, der liebevoll auf sich selber achten möchte, der seinen Kindern die Hand reicht dabei heraus zu finden, welche Bedürfnisse sie wirklich haben und unterscheiden lernen, was für sie gerade indiskutabel wichtig und was gerade auch verhandelbar ist, weil es einfach nur nett wäre, wenn es sich erfüllt. Der Boss, der Fehler zugeben kann und sich selber die Chance gibt sich zu korrigieren und anzupassen.

„Ist nicht so ein Boss in diesen Zeiten gerade viel zuverlässiger als ein Boss, der seine Kinder aufs Funktionieren trimmt? Bietet dieser Boss nicht viel mehr Struktur und Sicherheit, eben weil er versucht die innere Struktur und Sicherheit auch in seinem Kind wachsen zu lassen?“

Ich entscheide mich gerade jetzt dafür „Ja!“ zu sagen. Ein Ja zur liebevollen Bedürfnisäußerung, zum Rahmen und Halt geben, zum Loslassen von Starre in der Struktur, zum Ausprobieren, Anpassen, Falsch machen und Entschuldigen, zum gemeinsamen Weinen und Traurigsein, Freuen, Lachen und Erleben aller Facetten in dieser Zeit der Unsicherheit – und zwar in Verbindung und im Austausch mit mir und meinen Familienmenschen.

Als neuer Boss beschließe ich „Heute Abend dürfen meine Kinder um 20 Uhr in ihrem Zimmer spielen, bis sie meinen so müde zu sein, dass sie einschlafen können. Ich werde mir in der Zeit ein leckeres Eis für mich alleine gönnen und mich mit einem guten Buch erschöpft vom Tag aufs Sofa fallen lassen!“ – Ob das klappt? Ob das so richtig ist? – Ich weiß es nicht! – Aber ich weiß, dass ich mich auch in drei Wochen noch korrigieren darf, weil dann vielleicht was Passenderes vor der Tür steht!“

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