…und manchmal hilft einem auch das Leben

…und manchmal hilft einem auch das Leben

„Ich würde es so gerne festhalten!“, denke ich „Es so gerne kontrollieren was hier gerade passiert. Die ganzen Aufgaben, Anforderungen, To Dos und Aktionen, die das Lockdownleben täglich für mich bereithält.“

Ich schaue auf den Mittagstisch. Vor mir liegt das Essen, das ich zugegebener Maße mit einiger Eile auf den Tisch gebracht habe. Kartoffelbrei mit Erbsen und Gemüseschnitzel. „Lecker!”, dachte ich. Meine Kinder wohl weniger! Auf ihren Tellern türmte sich nahezu das gesamten Essen wie noch zu Beginn der Mahlzeit und beide waren schon wieder im Haus verstreut und riefen vom ersten Stockwerk aus „Ich bin satt Mama!“… „Schön!“, denke ich halb frustriert beim Abdecken des dreckigen Geschirrs und dem Besteck…durch meinen Kopf fliegen die Bilder von vollgestopften Kindermündern des heutigen Morgen. Leider so gar nicht mit dem, was ich mir gewünscht hätte… Honigkuchenbrot, Gummibärchen, eine trockene Brotscheibe, vielleicht auch zwei und jede Menge Naschkram, den man so beiläufig in sich hineinstopft. – „Es ging heute Morgen nicht anders!“, sage ich mir beschwichtigend. Ja und gleichzeitig steigt in mir dieses Bedürfnis hoch endlich mal was nach meinem Maßstab unter Kontrolle zu haben und sei es auch nur, dass meine Kinder ihre Mahlzeiten mit mir einnehmen und nicht den ganzen Morgen über die Augen ständig offen halten nach diesen „Zwischendurchhäppchen“.

„Was ist eigentlich mit den Hausaufgaben?“. Spürbar sackte ich noch einen Tick weiter in mich zusammen. Gleichzeitig witterte ich aber auch die Chance auf das Gefühl von „Es läuft mal was und ich habs im Griff“. Diese freudige Aussicht auf emotionale Egobefriedigung trieb mich gleich ins Kinderzimmer meiner Schulkindtochter. „Sag mal, wie sieht es eigentlich mit deinen Hausaufgaben aus?“ – „Ich will jetzt nicht Mama!“, schrie sie mir im gewohntem Energiesturm entgegen. Ich stöhnte auf. Grrrr… In mir spürte ich sofort den Reflex darauf tobend zu antworten. Ich konnte meine Reaktion zumindest noch in der Tonlage regulieren, bevor ich klar, aber freundlich sagte „Meinst du nicht, dass es sinnig wäre, wenn du es noch vor dem Reiten erledigst!?“ – „Ich hab keinen Bock! Nein, heißt Nein, Mama!“ …Ich spürte mein inneres Bedürfnis laut aufzuschreien. „Neiiiiiiiiiiiiiin!“, schrie in diesem Moment zumindest mein inneres Ich. Ich atmete tief durch und versuchte mein Glück nach 10 Minuten erneut. Ich unterbreitete ihr ein neues Angebot „Du, schreib doch die zwei Matheaufgaben einfach beim Bibi und Tina gucken zu Ende auf.“ …Ich merkte, dass ich immer frustrierter wurde und ihr Ideen unterbreitete, die keinerweise meiner eigenen Idee von pädagogisch wertvollem Arbeiten entsprach . Mein Kopf-Ich erkannte, dass es ganz und gar nicht produktiv war, was ich hier tat.

Ich spürte, dass ich hier einen inneren Auftrag hatte mir doch endlich das Gefühl zu schenken, dass ich mal was kontrollieren könnte und endlich mal was nach meiner Struktur läuft…Das Duell war entfacht. „Ich weiß, dass es gerade völlig bescheuert ist und gleichzeitig braucht mein Ego es jetzt aber!- „Neeeeiiiiiiiiin!“ …unterdrückte ich in mir und meine Tochter lachte mich freundlich an „Ich probiere es!“ -Wow, wie bitte? – 5 Minuten nach dem Anschalten der neusten Folge Bibi und Tina war meine und leider der kleine Funken ihrer Euphorie schon wieder erloschen und ich beobachtete resigniert wie sie ihren Stift schon wieder aus der Hand gelegt hatte und gleichzeitig den Blick nicht mehr von Alex, Bibi und Tina wenden konnte. Konnte ich es ihr verdenken? – Nicht wirklich!

Ich brauchte Schokolade. Die half mir zumindest den Kompromiss auszuhandeln beim Reiten im Auto gemeinsam die Matheaufgaben anzuschauen, wenn wir auf die kleine Schwester warten würden. Mit Ach und Krach verstaute meine Tochter alle wichtigen Arbeitshefte und Stifte im Jutebeutel und schmiss sie auf den Vordersitz neben die Reithelme.

Die Kleine wurde abgeliefert, die Große und ich machten es uns bei leichtem Sonnenschein auf den Vordersitzen unseres alten Fiats gemütlich und ich versuchte es erneut sie mit viel Energie zu motivieren. Die Musik musste noch an, das Fenster einen Tick auf, die Sitzposition passte ihr auch noch nicht… „Boa! Wie viel Geduld brauche ich noch?!“, denke ich. In diesem Moment klopft die Reitlehrerin ans schon stressbeschlagende Fenster der Beifahrertür. Tina hielt Holly am Zügel, die ruhig vor unserem Autofenster vor sich hin starrte und sich zu fragen schien welchen Auftrag sie jetzt hier denn habe. „So!“ ,dachte ich „Das wars dann. Mathehausaufgaben werden endgültig auf Morgen verschoben.“

Und weißt du was dann in mir passierte? Ich fühlte mich so lebendig und frei wie den ganzen Tag nicht! Ich spürte meine Füße fest auf dem Feldweg, als ich meiner Großen die Beifahrertür aufmachte, damit sie zu Holly stürmen konnte. Ich nahm die Befriedigung wahr, die sich in mir breit machte, obwohl ich scheinbar gar keine Kontrolle mehr über mein Außen hatte und auch die letzte Aussicht auf das Abhaken der Mathehausaufgaben an diesem Tag losgelassen hatte, merkte ich wie viel Struktur und Kontrolle sich da gerade in meinem Inneren aufbaute. War es die Akzeptanz, die Sicherheit, dass es sich schon klären würde, auch ohne mein Zutun? Oder auch die Erleichterung, dass es mir einfach eine anderen Person abgenommen hatte und sich der Raum für Hausaufgaben von selbst geschlossen hatte und sich dafür ein innerer Raum in mir geöffnet hat? Endlich stellte keiner die Anforderung an mich, dass ich mich entscheiden müsste, kontrollieren, agieren und in Bahnen leiten müsste. Das Leben nahm mir die Leitung gerade ab und ich konnte loslassen.

Nicht immer gelingt es mir das was ich spüre auch sofort zu leben, nicht selten gerate ich in einen klassischen Kopf-Herz Konflikt. Der Konflikt zwischen dem, was der gängige Weg doch vorschreibt und als normal empfunden wird und auch mein Ego hin und wieder gerne halten und kontrollieren will – besonders, wenn ich mich selber gerade gar nicht in meiner eigenen Mitte fühle – und dem was sich spürbar in dem Moment als viel passender anfühlt und erscheint. Und manchmal hilft einem auch das Leben aus diesem inneren Konflikt heraus zu treten. Danke Leben!…und danke Tina!

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