Vielleicht ein bisschen anders…
Ich stehe in der Schlange des Bäckers. „Bitte nur drei Kunden gleichzeitig!“ leuchtet es mir unter dem Bild des Mund-Nasenschutzes auf der Eingangstür meines Lieblingsbäckers entgegen. Auf dem gesamten Parkplatz herrscht Maskenpflicht. Es ist kein schönes Wetter. „Vielleicht schützt die Maske auch mein Gesicht vor Kälte?“, denke ich mir optimistisch. Der Frühling, der sich schon mal kurz hat blicken lassen, hat umgedreht und schickt den Winter nochmal vor. „Zumindest kein Schneegestöber“, denke ich mir. Stattdessen wehen mir kalt meine Haare vor das ohnehin schon eingeschränkte Sichtfeld. Vor mir in der Reihe steht unser Nachbar mit seiner kleinen einjährigen Tochter, der ich liebevoll zuwinke. „Die erkennt mich nicht!“ merke ich traurig. Vielleicht freut sie sich trotzdem über eine winkende Frau. Strange! Zumindest meine Augen können noch ein bisschen liebevolle Zuwendung in meine Kommunikation mit meiner bemaskten Umwelt bringen… Wenn nur dieser Wind nicht wäre!
Einkaufswagenschiebend drückt sich eine Frau unter Einhaltung des Mindestabstands mit ihrem Mann vorbei. Die FFP-2 Masken verschlucken ihr mehr oder minder lautes Stöhnen beim Schieben des Wagens „Jetzt sagt doch mal! Was willst du jetzt haben! Kürbiskern oder Sesam?“ – Die Frau war sichtlich genervt von ihrem Partner, der keine klare Aussage über seinen Wunsch treffen konnte und sich sichtlich unter Druck fühlte. – Ich dachte: „Es sind noch vier Menschen vor euch in der Schlange. Zeit genug, um auch noch den Kuchenwunsch fürs Kaffeetrinken durchzusprechen.“ Die Frau schoss einen weiteren verbalen Pfeil auf ihren Mann ab. „Nie kannst du dich entscheiden. Alles ein Scheiß! Es nervt mich! Sag was du willst und gut ist!“ …
… Können wir uns gerade eigentlich wirklich entscheiden, was wir wollen? Sind wir nicht täglich, auch durch diese Pandemie, und auch gerade deswegen, genötigt ständig mit dem Wunsch unserer Umwelt konfrontiert zu sein, genau und aber sofort zu wissen, was wir jetzt wollen und wie wir zu allem stehen? Wow… Und wenn wir uns nicht mit Leichtigkeit eine Meinung im Großen bilden können, wie zum Thema Schulschließung, Wechselunterricht, Öffnung von Buchhandlung, etc., dann doch wenigstens im Kleinen bei der Wahl der Samstagsbrötchen… Die Frau war sichtlich daran interessiert Struktur zu spüren, endlich mit Hilfe von klaren Aussagen und Fakten agieren zu können. Eine klare, absehbare Folge von Entscheidungen zu spüren und Struktur im Außen wahrzunehmen. Diese konnte ihr Mann ihr aber in diesem Moment, auch wenn es nur um so eine Banalität ging wie den Brötcheneinkauf, nicht geben…
… Ich fühle mit ihm. Ich fühle mich entscheidungsfaul manchmal sogar entscheidungsgelähmt. Ich kann nicht immer absehen was meine Entscheidung gerade jetzt in dieser Welt und zunehmend auch in meinem kleinen Alltag für Konsequenzen für mich und meine Mitmenschen hat – Im Großen wie im Kleinen: Die Struktur im Außen bröckelt, Antworten weichen vermehrt den Fragen. Eine Idee von „Ich mache das jetzt auf Art und Weise A, weil dann passiert ziemlich sicher genau Folge B…“ – sowas funktioniert gerade nicht. Und manchmal spüre auch ich diese Entscheidungslähmung im Kleinen. Was soll ich kochen? Fahre ich die Kinder mit dem Fahrrad zur Schule und dem Kiga oder mit dem Auto? – Der Umfang der Variablen sind oft in dieser turbulenten Welt schlichtweg nicht überschaubar…
… Meine große Tochter schenkte mir vor kurzem eine Idee, die ich bis heute mit mir trage, wenn ich meine Entscheidungslähmung spüre und mir Sorgen um die unkalkulierbaren Folgen meiner Entscheidungen habe:
„Neulich begann sie voller stolz ein Papierboot zu falten. Ich schaute ihr aufmerksam zu. Sie faltete hin und her und ich dachte schon beim Zusehen „Das wird nicht funktionieren!“ – Ich machte mich innerlich bereit sie mit offenen Armen zu trösten… Doch sie faltete unbeirrt weiter und sagte dann „Oh Mama, dieses mal wird es nur anders!“