Eine kurze Begegnung…
Ich sitze einer jungen Frau gegenüber, die von ihrem Lehrer erzählt. „Er will Sachen von mir, die einfach nicht machbar sind. Er will, dass ich gleichzeitig die Hefte aus dem Rucksack hole und an die Tafel gucke. Das ist nicht machbar!“ – Der Lehrer erhebt die Stimme, wird lauter mit einem deutlichen Tonfall. – Die junge Frau erschrickt und in ihr beginnt es zu brodeln. „Immer wieder fragt sie mich: „Warum darf der so mit mir reden? Ich darf es doch auch nicht!“ – Ich spüre ihre Frustration und ihr starkes Bedürfnis nach einer respektvollen Kommunikation mit ihrem Lehrer.
Ähnliche Situationen sind nicht nur in der Schule zu beobachten. Sie zeigen sich beinahe an jeder Ecke: Schule, Beruf, Familie… Überall gibt es Momente, in denen jeder von uns Erwachsenen aus einem Rollenverständnis heraus agiert und damit verbunden nur allzu oft ein respektvoller und freundlicher Umgang vernachlässigt wird. Einfach weil wir es so schon lange erfahren und gelernt haben… Ich möchte dabei unbedingt ganz deutlich zwischen einer natürlichen Autorität und einer Autorität, die aus einem Rollenkonstrukt entsteht, unterscheiden: Es ist ganz bestimmt sehr wichtig dem Kind eine liebevolle und elterlichen Rahmen zu setzen, die aus einer natürlichen Hierarchie gewachsen ist und es damit in eine selbstständige Lebensführung zu begleiten. Die aus einem natürlichen Erfahrungsvorschuss gespeist wird und sich aus unseren gelebten Erlebnissen zusammen setzt… „Eine heiße Herdplatte anzufassen ist nicht so klug. Das haben wir früh gelernt. Das gebe ich gerne an mein Kind weiter, ohne es dabei respektlos behandeln zu müssen… Aber es gibt ebenfalls diese Momente, in denen wir Menschen, die vermeintlich unter uns in der Hierarchie stehen, herablassend und respektlos behandeln und eben das verhindert ein gesundes Wachstum. Das lässt einen jeden Menschen Frust, Demotivation und ungesunde Aggression aufbauen, die letztendlich dazu führt, dass sich junge Erwachsene nur zu gerne vom Leben, der Gesellschaft, dem Schulalltag abkapseln oder aus ihrer Wut heraus rebellieren lässt.
Sicherlich ist eine Grenze zwischen gesundem und respektlosem Grenzensetzen nicht immer klar und im Nu verschwommen und diffus. Sicherlich lohnt es sich feinfühlig zu sein und sicherlich gelingt uns das nicht immer bewusst. Denn auch wir Erwachsene sind mehr oder weniger schnell getriggert und tun dann scheinbar automatisiert Dinge, die respektlos sind, die nicht auf Augenhöhe sind, die sich vor allem im Nachhinein unpassend anfühlen. Und welche Chance haben wir als daran zu wachsen und uns damit bewusst auseinander zu setzen und uns somit dafür zu entscheiden, dass wir unseren Kindern zeigen wie es gehen kann, in dem wir neben unserer Erziehungspflicht auch der Pflicht nachkommen gut für uns selber zu sorgen. Lernen unsere Kinder denn nicht vor allem in der Nachahmung?
Die junge Frau sei dann auch lauter geworden in der Klasse. „Wie soll ich das denn beides gleichzeitig machen? Wie stellen Sie sich das vor?“, schrie sie. Sie habe ihren Lehrer dann endlich begegnen können, nur leider im Raum der Respektlosigkeit. Für einen kurzen Augenblick fühlte sie Erleichterung. Der Herzschlag beruhigte sich für einen klitzekleinen Moment. Die Atmung war plötzlich tief und danach kam die Frustration, das schlechte Gewissen, die Ohnmacht, die Bewegungsunfähigkeit und Traurigkeit zurück… Sie wusste, dass sich nun wieder ein Rattenschwanz von vorne beginnen würde – Eintrag ins Klassenbuch, Anruf bei den Eltern, Gespräche mit der Vertrauenslehrerin, vielleicht Nachsitzen… Die Wut kehrte zurück, der Herzschlag wurde wieder stärker, die Atmung schneller und der Körper machte sich bereit wieder zu kämpfen…
…Aber für einen kurzen Augenblick konnte sie ihrem Lehrer in die Augen blicken, auf gleicher Höhe…
Die Herausforderung, die in jedem von uns bleibt…
… „Wie schaffen wir es unsere Kinder darin zu begleiten ihre Energie zu kanalisieren, gesund und selbstwirksam einzusetzen? Wie schaffen wir es diese Energieausbrüche, die uns nicht dienen, sondern sich in respektlosem Verhalten zeigen, in uns zu wandeln? Und letztendlich: Wie schaffe ich es eine natürlich-hierarchischen Rahmen zu setzen, die die Würde von mir und meines Kindes wart und wie finde ich meine eignen Grenzen heraus, damit wir uns auf Augenhöhe begegnen können und zwar im respektvollen, lebendigen Raum?“