Die Seelenglitzerkörner…
Wisst ihr, was meine Tochter heute Morgen am Arm trug, als sie aus dem Haus ging, um sich ins Auto zu setzen und zur Schule zu fahren? – Ein Pflaster. Ein Pflaster mit einem roten Herz mit Edding drauf gemalt.
Und wisst ihr, was ich gerade an einem Arm trage? – Ein Pflaster. Ein Pflaster mit einem roten Herzen mit Edding drauf gemalt.
Jedes Mal, wenn ich darauf gucke, muss ich ein wenig schmunzeln und freue mich innerlich mich immer wieder daran erinnert zu fühlen, wie verbunden ich mit ihr bin.
Irgendwie gibt es so Tage, da fühle ich mich auf merkwürdige Art und Weise mit dem Rest der Welt kaum verbunden. Irgendwie dreht es sich dann in mir, ich spüre weder mich genau, noch die Menschen um mich herum. Es fühlt sich ein bisschen an wie taub, benebelt oder eingefroren. Meistens ist es so, wenn ich eine längere Zeit nicht genug auf mich geachtet habe, meine Ressourcen im Innen und Außen nicht ausreichend für mich genutzt habe und mich dadurch im alltäglichen Hamsterrad des Funktionierens gefangen fühle – Um ehrlich und genau zu sein: Von tiefer Lebendigkeit kann in diesem Zustand auch kaum die Rede sein.
Vor ein paar Tagen war ein Mädchen bei mir, das mir erzählte, wie sie es in einem engen, kalten, zwar mit frischer Luft gefüllten, aber winterkalten Raum kaum noch aushielt wirklich DA zu sein. Körperlich spürt sie jedes Mal, dass sie nicht weg kann, sagt sie mir. Sie kann nicht einfach sagen, dass es ihr zu kalt sei und sie deswegen raus möchte in ihr warmes Bett zu Hause, um sich wieder in sich und der Welt wohlzufühlen. Sie kann nicht schreiend sitzen oder um sich schlagen… und so wählt sie einen anderen Weg:
Sie bleibt körperlich anwesend und beamt sich nur mit ihrem Inneren woanders hin. Sie schaut ins Leere, sie wird ruhiger und ihr Körper schaltet ganz von alleine die Wahrnehmung und Weiterleitung der Sinnesreize ab. Sie wird taub und starr. So kann sie da bleiben, ohne voll DA zu sein – ohne voll in sich und in diesem Raum sein zu müssen.
Ihre eigenen Bedürfnisse spürt sie kaum noch, aber sie kann durchhalten und den Morgen bald hinter sich lassen.
Doch das Band der Verbindung zu sich selber und allen anderen ist wie durchgeschnitten… die beiden Enden fallen zu Boden und man kann sich vorstellen, dass es in diesem Zustand kaum Energie gibt, um diese Enden wieder selbstständig zusammen zu stecken – vor allem, wenn sie schon zu Boden gefallen sind und nicht mehr nur schweben.
Vielleicht passiert das nicht oft, vielleicht kann dieses Mädchen sich beim nächsten Mal schon mit ihren Ressourcen über Wasser halten und so verhindern, dass das Band sich nicht komplett trennt. Vielleicht reicht ein rechtzeitiges bewusstest Aus dem Fenster gucken, zeichnen von kleinen Blättern auf dem vor ihr liegenden Papier, Hustenbonbons zum Lutschen, das Kreisen mit dem Finger auf dem Bein, das bewusste Strecken des Oberkörpers, vielleicht ist es auch nur ein inneres Lächeln?! – Und vielleicht gelingt es ihr dadurch mit sich selber und ihrer Umwelt in Verbindung zu bleiben, ohne sich innerlich abzuschneiden von allem anderen. Vielleicht gelingt es ihr immer öfter in ihrer Präsenz zu bleiben und daraus weiter zu schauen, wie es für sie gehen kann in einem kalten, engen, vollen und lauten Raum ohne innerlich zu flüchten und sich selber einzufrieren.
Für meine Tochter und mich war es heute morgen das Pflaster mit dem roten Eddingherz, das wir nun hin und wieder lächelnd anschauen und uns an unsere Verbindung erinnert fühlen. Zumindest ich kann sagen, dass ich mir gerade vorstelle, wie sie ihre linke Hand auf ihren rechten Unterarm legt, das Pflaster mit ihren Fingern erspürt und sich in diesem Moment mit einem inneren Lächeln der Welt um sich herum offen halten kann, ohne sich innerlich herauszubeamen.
Es sind die Kleinigkeiten, die es schaffen uns in tiefer Verbindung zu uns selbst und der Welt da draußen zu erleben… und es lohnt sich mit einem inneren Schmunzeln diese kleinen Seelenglitzerkörner zu entdecken und sich und vor allem unseren Kindern in dieser Zeit ganz bewusst zu schenken.