Entschuldige bitte…

Entschuldige bitte…

Entschuldige bitte, ich habe da mal eine Frage: Warum meinen wir Erwachsenen eigentlich, dass wir uns für alle eigenen Unzulänglichkeiten bei unserer Umwelt ständig nur entschuldigen müssten?

Es sind Ferien und dementsprechend kommen meine Töchter noch später als eh schon eingeschlichen ins Bett. So sitze ich gegen 21 Uhr im Bett meiner kleinen Tochter und lese ihr mit müder Miene ein schon allzuoft vorgelesenes Pixibuch vor.

„Da setzte sich die kleine Prinzessin hin und schrie aus vollem Halse…“ – Mich überkam ein intensiver Müdigkeitsflash. Ich gähnte ausgiebig vor mich hin. Meine Tochter saß auf meinem Schoß und starrte auf das Buch in meinen Händen. Nach gut zehn Sekunden war mein Gähnen vorbei. Ich atmete tief durch und automatisch entfuhren mit die Worte „Oh, entschuldige bitte!“. Meine Tochter drehte sich augenblicklich um, starrte mich an und sagte „Wieso entschuldigst du dich? – Du bist doch nur müde!“

Ja, warum meine ich eigentlich mich dafür entschuldigen zu müssen, dass ich müde bin? Dass ich jeden Tag erneut mein Bestes gebe, dass ich manchmal auch gerne etwas zu viel gebe und mich vor allem abends dann schmerzlich daran erinnert fühle, dass ich gerne mal selber eine Stunde früher in mein Bett liegen möchte? – Keine Priorität auf die abendlichen To Dos – wie gesammelte Rechnungen überweisen, WhatsApp Nachrichten beantworten, die Küche sauber machen, Waschmaschine anstellen, Pausenbrote für die Kinder schmieren.

Stattdessen entschuldige ich mich für meine eigene Müdigkeit und mein ausgiebiges Gähnen, das doch nur mein Gehirn endlich mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen sucht…

Das erstaunte Gesicht meiner Tochter, das mich da so anblickt stimmt mich nachdenklich… Wäre es nicht viel passender, dass ich mich hin und wieder eher bei mir selber entschuldige? Dass ich dann sowas sage wie

„Entschuldige mein lieber Körper, dass ich dich heute wieder vier Stunden an den Schreibtisch gesetzt habe, ohne dich vorher und nachher ausgiebig zu bewegen.“

„Entschuldige mein lieber Körper, dass du dich gerade so ausgelaugt fühlst, weil ich meinen Durst heute mehr als drei mal überhört habe.“

„Entschuldige liebe Seele, dass ich den ersehnten Frisörtermin abgesagt habe, um die Geburtstagstorte deiner Tochter ganz frisch fertig zu backen und herrichten zu können.“

Wie oft übergehe ich eigentlich meine Bedürfnisse und müsste mich am Tag so oft dafür bei mir selber entschuldigen? Aber ein Automatismus, der wie eine Floskel bei jedem Übergehen als verzeihungswünschende Geste an mich heraus geht? – Leider immer noch viel zu oft Fehlanzeige!

Stattdessen entschuldige ich mich ohne mit der Wimper zu zucken für meine abendliche Müdigkeit, für die fünf Minuten Unpünktlichkeit beim Elternabend, für eine doch optisch nicht so gelungene Geburtstagstorte, für das Gemüsebeet, das wieder mal gejätet werden könnte… oder gar für meine Kinder, die den Supermarkt sagen wir mal „unterhalten“, weil ich es ihnen nicht erlaube die 5. Zeitschrift in diesem Monat käuflich zu erwerben.- Und da reicht dann manchmal auch nur der Versuch mich bei anderen mit einem kurzen Blick und einem verlegenden Lächeln zu entschuldigen.

All diese Floskel-Entschuldigungen, die mir wie scheinbar selbstverständlich aus dem Mund gleiten oder meinen Blick bestimmen, haben ja nur eines im Sinne: Aufrechterhaltung einer Verbindung zu meinem Gegenüber. Ich möchte keine Ablehnung fürs Zuspätkommen erfahren, nicht für eine optisch weniger ansprechende Torte, nicht für meine eigene Erschöpfung, nicht für das was ich scheinbar alles nicht auf die Reihe bekomme… Ich möchte trotz dieser ganzen „Nichtperfektion“ in Verbindung bleiben zu meinem Gegenüber… und das scheint dann über das eigene Eingeständnis der gefühlten Unzulänglichkeit für mich irgendwie zu funktionieren – zumindest ist mein Unterbewusstsein scheinbar so trainiert.

Und wie zulänglich fühle ich mich eigentlich im Umgang mit der Aufrechterhaltung der Verbindung zu mir selber? Wie steht es eigentlich um die Pflege der Kontaktqualität zu meinen Bedürfnissen? – Mein Bedürfnis nach Schlaf, nach Zeit und Raum für mich, auch wenn es bedeutet jemand anderen dann 5 Minuten oder gar 10 zu vertrösten?

Und ist meine anschließende Entschuldigung für meine Verspätung an mein Gegenüber dann nicht eine aufrichtige Entschuldigung aus tiefem Herzen?… Eben weil ich in diesem Moment die Zeit und den Raum für mich genutzt habe, um meine innere Verbindung zu pflegen? Weil es mir dann möglich ist mich authentisch und menschlich lebendig zu zeigen. Weil auch ich der Mensch bin, der es nicht schafft (schaffen will) in Perfektion zu funktionieren? … Und vor allem weil ich damit auch zeige: „Das gestehe ich genau dir eben auch zu!“ – Weil es eben nicht menschlich ist sich selber ergebnisorientiert zu pimpen, abzurichten und zu organisieren. Eben, weil ich es schaffe mir den Raum zu nehmen für meine Fehler, für meine Unzulänglichkeiten und für lückenhafte Ästhetik, reift doch die Erlaubnis, dass ich das allem Lebendigen um mich herum auch zugestehe… Und ist es nicht das, was ich genieße im Kontakt mit anderen? – Die Erlaubnis aus tiefer Selbstverbundenheit lebendig unzulänglich zu sein und daraus kreativ meinen Weg zu gestalten?

Mir scheint, dass meine Tochter das verstanden hat oder noch nicht verlernt hat… Ich hoffe zutiefst, dass sie diesen, ihren, Blick aufs lebendige, unperfekte Leben schützen kann. Dass es dazu gehört eigene Fehler zu machen, dass man dann etwas Neues daraus entstehen lassen kann … Und dass es Wege der Veränderung gibt, überall und in jedem von uns, und dass es uns zeitweise auch erschöpft. Dass wir dann wieder Innehalten, zur Ruhe kommen und dann wieder weiter gehen und dass auch „Entschuldigungsfloskeln“ auf diesem Weg dazu gehören… Dass es sich so wunderbar anfühlt, wenn man diese Floskeln mit Leben füllt und sie dann aus tiefer Selbstverbundenheit genau so meint, wie man sie meint: Wenn ich müde bin, bin ich eben einfach nur müde, genauso wie du es auch sein darfst.

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