Die Instabilität von Vorstellungen…

Die Instabilität von Vorstellungen…

Drei Tage bis zum Ferienstart, drei Tage bis zum Urlaubsstart… Mein Kopf meldet sich. Es hämmert in meiner Schläfe… Ich tue es ab “Wohl zu viel gemacht gerade”, sag ich mir selber… Ich geh schlafen mit der Idee, dass doch noch so viel gemacht werden muss: Bad sauber machen, der Kühlschrank muss leer werden, der Müll rechtzeitig raus, den morgen gelieferten Tisch für die neue Loungeecke im Garten wollte ich so gerne noch vor dem Urlaubsantritt gestrichen haben… “Boa, hoher Anspruch an dich selber!”, denkst du. – Ja, das denke auch ich gerade und um so schwerer fällt es mir mich diese Nacht schlafen zu legen. Ich schlafe unruhig, wache oft auf – natürlich auch um 5:34 Uhr. Zu dieser Uhrzeit bin ich die letzten Tage schon so oft wach geworden… Leise rechne ich mir aus, dass es noch genau 26 Minuten sind, bis mein Wecker klingelt und mir endgültig sagt, dass ich nun doch aufzustehen habe. Ich drehe mich im Dämmerschlaf zur Seite und in mir erwachen wieder die kleinen, grellen Vorstellungen von all den To Dos, die ich glaube noch erledigen zu habe bis die Deadline endet und der Urlaub beginnen kann… Von all den To Dos, die, sollte ich sie nicht erledigen, bezeugen, dass ich es gerade nicht hinbekomme und meinem Anspruch nicht genüge – “Boa, warum tue ich mir das eigentlich alles an für 7 Tage dänische Westküste?!”

Mein Kopf pulsiert, meine Nebenhöhlen sitzen dicht… Mein persönlicher Schwachpunkt… Zu oft habe ich mir schon die Frage gestellt “Wovon habe ich eigentlich gerade jetzt die Nase voll?” – Was nervt gerade so sehr, dass mein Körper rebellieren muss? Was nervt gerade so, dass er versucht mich auszubremsen und mich auf eine kleinere Stufe zurück zu fahren? Ich weiß es nicht, vieles, gar nichts?!…

Ich schleppe mich durch die letzten Tage vor dem Urlaubsstart. Ich dumme Nuss putze, ich wasche, ich packe, ich koche, ich organisiere, ich hege und pflege und ja, ich denke auch hin und wieder an mich. Ich lass das Streichen des Loungetisches sein, ich bereite den Urlaubsproviant mit Hilfe der eingeschweißten Packungen des Supermarkts vor, ich wasche die Bettwäsche der Kinder nicht mehr vorm Urlaub. “Das merken die sowieso nicht, ob sie gerade frisch gewaschen ist oder nicht. Nach 3 Tagen liegt wieder alles voll mit Schnipseln, Buntstiftanspitzerresten oder Krümeln… Ich selber merke sowas und störe mich daran und mal abgesehen davon, dass ich in meinem Bett nicht esse und nicht krümele, liebe ich so oder so frische Bettwäsche und aus diesem Grund wasche ich nur meine Bettwäsche vor der Abfahrt und fühle mich zum ersten Mal seit Langem wunderbar gut damit…

… Die Fahrt war gut. Die Ankunft chaotisch: Der zweite Urlaub dieses Jahr. Schon dekadent, dachte ich und habe beim spontanen Buchen dieses Ferienhauses vor allem auf den Preis geachtet und unter den letzten 5 noch freien Häusern das alte, gediegene, rustikale Steinhaus genommen – mit der Idee “Geht schon!”… Es geht… es geht und ich will irgendwie auch lieber rückwärts rausgehen als die Kinder freudestrahlend ins Haus stürmen… Ich rieche altes Fett, Fischgeruch, ich spüre kalte Steinwände, ich sehe einen bunten Mix aus unterschiedlichen Dekorationen, Kunstblumen und Eicherustikalwänden… Ahhh… Nächstes Mal doch lieber 200 Euro mehr und 3 Monate früher buchen… Meine Vorstellungen brauchten dringend ein Make-Over…

Ich entschied mich in diesem Moment mich bewusst umzufokussieren… Ich versuchte nicht das alte Fett in der Dunstabzugshaube wegzureden, ich versuchte nicht die kalten Wände gutzuheißen, ich versuchte nicht die Dekoration plötzlich toll zu finden, aber ich stellte alle Kunstblumen in einen leeren Schrank und lief durch das Haus und versuchte so viel wie nur möglich an Kraftquellen zu finden und Ressourcen, die mich über die Zeit bringen… Ich sah einen Kaminofen, der sauber war, ich öffnete meine mitgebrachte Kaffeedose und roch daran, ich zückte meinen Lieblingsbecher, ich kuschelte mich in meinen Wollpulli und stellte mich vor dem geöffneten Fenster in den Küstenwind… Viel mehr zu finden, als ich eben dachte… Ich liebte mich plötzlich dafür, dass ich meine eigene Bettwäsche mitgebracht habe und meine kleine Kuscheldecke noch vor der Abfahrt in den Kofferraum gequetscht hatte. Ich liebte mich für meine Hausschuhe und meine nach Rosen duftende Handcreme…

Ich lief durch die kleine Häusersiedlung Richtung Küste und plötzlich, so wie ich es in dieser Gegend gar nicht gewohnt war, eröffnete sich mir ein so weiter, großer Raum voll Dünen, Heide, Flechten, Moosen, Dünengras und wehendem Sand… Der Wind blies mir ins Gesicht, meine Tränen liefen, ich atmete tief durch und war so dankbar, dass ich gerade eine Zeit habe, die mich vor die große Herausforderung stellt meine gewohnten Vorstellungen und Ansprüche wahrzunehmen, zu reflektieren und neu einzuordnen. Dass ich spüren darf, dass ich auch mit weniger als perfekt zurecht komme, dass ich stabil bin, dass ich Lösungen finde und dass ich sie halten darf, dass sich das neu anfühlt und dass ich manchmal überrascht über mich selber bin und dass es sich so stark anfühlt mit weniger als dem zurecht zu kommen, was mal meine Vorstellung von Existenzminimum war… “Ich habe einen hohen Anspruch”… und ich bin immer bereiter ihn loszulassen und mit dem zu gehen was da so auf mich wartet und kommt… Vielleicht finde ich immer mehr in mir, als ich es im Außen finde… und vielleicht macht es mich dann innerlich viel stabiler, als ich im Außen jemals an Stabilität finden könnte… Vielleicht ist es genau das was der Flow ist, was der Tanz des Lebens bedeutet. Zurück treten, beobachten, seine eigenen Vorstellung nicht als unverrückbar hinzustellen… Vielleicht ist diese wachsende, innere Stabilität genau das was wir in dieser unsicheren Außenwelt benötigen, um bei uns zu bleiben und in Verbindung mit dieser Welt zu bleiben… Weil wir Alternativen spüren, weil wir Lösungen spüren, weil wir Handwerkszeug haben, dass uns selbstwirksam bei uns bleiben lässt… Und vielleicht macht uns genau unsere innere Flexibilität und der Mut, dass wir uns trauen unsere eigenen Vorstellungen zu hinterfragen so sicher für diese sich wandelnde Welt.

Welche deiner festen Vorstellungen, wie etwas zu sein und zu funktionieren hat, kannst du gerade überdenken und anpassen?

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