Das Geschenk des Scheiterns
Gerade sehe ich einen Videoausschnitt mit Günther Jauch. Er postuliert: „Scheitern ist wichtig!“ – Fast floskelhaft scheint mir diese Dreiwortaussage… Ja, wir müssen mit Veränderungen umgehen können. Sie annehmen und das beste aus unserem Scheitern machen. Intuitiv kommt mir „Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weiter geht’s!…“ in den Kopf. Dieser flache Postkartenspruch scheint mir plötzlich sehr tief und nah zu kommen…
Manchmal, so spüre ich in mir, ist es sogar bahnbrechend neu und komplett erfüllend seine Krone zu richten und weiter zu gehen… natürlich erst nachdem das kurze Scheißgefühl des Scheiterns weg ist 🙂
Wer entscheidet eigentlich, dass wir gescheitert sind?
Zu gerne würde ich Günther Jauch gerade glauben. In mir kommt mein innerer Glaubenssatz hoch, der mich seit meiner Schulzeit begleitet: Man ist nie fertig, nie genug, nie ausreichend…
Gibt es immer noch die eine Möglichkeit mehr? – Die eine Optimierungsidee, die mich noch effizienter und noch leistungsstärker macht?… Keiner hat es wortwörtlich ausgesprochen – damals – und doch haben mehr oder weniger alle, die in diesem System erfolgreich sein wollten, still und manchmal auch laut diesem Anspruch Folge geleistet: Höher, weiter, schneller… Von der 4 auf die 3… geht noch die 2 auf dem Zeugnis?!
Auf – ins Leben geschmissen nach dem Abi, mit Ideen und Wünschen, mit Ansprüchen an mich und dem was ich mal aus mir machen will, soll oder auch ein bisschen muss. Mit dem im Gepäck was dieser lang und emsig gehegte und gewachsene Anspruch an Selbstoptimierung und Leistungsfähigkeit mit mir gemacht hat.
Drei Monate nach dem Abi startet das Semester. Ich komme vom Leistungsanspruch – Ich gehe in den Leistungsanspruch… „ Jeder Dritte von Ihnen wir dieses Studium nicht beenden“… In der Sekunde dachte ich nicht, dass ich einer dieser Dritten sein werde…
Festgeklammert und bis ins Letzte optimiert habe ich mein Ziel… Den Semesterplan im Griff – Kurse, Vorlesungen, Prüfungen. Alles was ging war von mir schon ausgewählt, geordnet, erledigt und sortiert… Nichts von alle dem schaffte ich dem Zufall zu überlassen… Ich verbrachte schlaflose Nächte voller Sorge, dass ich diesen Plan nicht erfüllen könnte, den die Uni vorgab…
Ein paar Tage später stehe ich weinend, nein heulend, vor der Haustür meines Elternhauses. Habe mich die eineinhalb Stunden Heimfahrt von meinem siebten Unitag dagegen gewehrt, dass ich einer dieser Personen bin, die man mit einem fast spöttischen Lächeln die Dritten nennt.
Dass ich schon jetzt die bin, die ganz genau spürt, dass sie in dieses System nicht passt. Obwohl es doch nach dem einzigen, richtigen Weg ausgesehen hat. Spüre, dass ich mein Ziel aufgeben muss – aufgeben werde. Dass ich untergehe in diesem Raum der großen Erwartungen. Ein Raum voll mit meinen eigenen perfektionistischen Erwartungen und die dieser ganzen Menschen, die ihre Rolle erfüllen, in einem System, in das ich nicht passen kann und will.
In einem System, in dem ich das erste Mal die Chance habe bewusst und selbstentscheidend auszusteigen. Ein System, das mich niemals ganz hatte und dem ich jetzt das letzte Stückchen von mir entziehe. Ich steige bewusst aus… Mit Angst… Angst vor dem Nichts, das da noch übrig bleibt… Was steht noch da, wenn der feste Weg, den so viele andere schon vor mir gegangen sind, sich für mich als verschlingendes Moor herausstellt?… Wo leuchtet mein eigener Weg?… Und vor allem wo leuchtet mein neues Ziel?…
… Es leuchtet kein Ziel, es leuchtet kein Licht am Ende eines neuen Tunnels. Auf ein Mal, das wird mir nach meinem Scheitern, beim Krone richten bewusst, leuchtet nur noch der nächste kleine Stein vor mir. Es leuchtet nur so weit, wie ich gucken und erkennen kann… wie ich gehen und verstehen kann… Es existiert kein Plan für diesen Weg, es existiert keine feste Struktur, keine 100%-Chance für eine Zielerfüllung und auch keine Erfolgsgarantie…
Zäh manövriere ich mich durch meine ersten, kleinen, zaghaften Schritte. Es gab keinen vorfertigten Weg, keinen Plan, keine feste Idee wo ich nach meinem nächsten Schritt landen würde und dann wuchs da etwas aus meinem Scheitern heraus. Genau in dem Moment, in dem ich es schaffte meine Krone zu richten. Ich nahm mir Zeit dafür. Nahm mir Zeit, um das Neue, das Nichts, kennen zu lernen. Setzte meine Krone ganz langsam wieder auf… In dieser Bewegung wuchs in mir sowas wie Verbindung zu mir selbst. Sie half mir den nächsten Schritt auf dem Weg zu beleuchten. Mit mehr Sicherheit zu gehen und mit Fokus auf den einen nächsten, kleinen, zarten Schritt – fern von einem festen Ziel, von dem Wunsch nach Effizienz und Selbstoptimierung, fern von der Pflichterfüllung einer Rolle… Einfach nur da hineinzuwachsen was mir selbst wirklich entspricht.
…und Puhh… : Scheitern fühlt sich nicht schön an… Aber das Krone richten und das Weitergehen, begann mir immer mehr Freude zu machen… In der neu gewonnen Freiheit zu baden…
… Und in dieser Sicherheit, die keiner dieser Menschen da draußen mir geben musste. Diese innere Sicherheit erwuchs aus einer neuen, inneren Haltung, aus Neugierde, aus Verbindung zu meinen Wurzeln, aus Respekt vor meinen eigenen Bedürfnissen und aus einer Energie, die begann ganz liebevoll mit mir selber umzugehen…
Und das zeigte sich in all diesen Kleinigkeiten, die ich mir erlaubte auszusprechen und immer öfter Raum und Zeit zu schenken. Aus meinen vielen kleinen Ressourcen wie Sushi ohne Fleisch und Fisch zu bestellen, mich in meine frische Bettwäsche fallen zu lassen, Urlaub an der dänischen Nordseeküste zu verbringen, immer mehr Zeit in meinem Garten zu verbringen und alle Harry Potter Filme das bestimmt 12. Mal durch zu gucken: All das, was es mir erlaubte ein bisschen komplizierter zu sein und gleichzeitig ein bisschen liebevoller mit mir selbst. Keine Sicherheit, die aus irgendeinem Ziel oder einem Plan erwachsen musste, die mir irgendjemand schenken musste…
Eine Sicherheit, die ich begann in mir selber zu finden… Während dieser Reise ins Neue: In das, was ich mir noch nicht mal vorstellen konnte. In das, wovon es keinen Plan gab… Da habe ich diese Sicherheit öfter wieder verloren. Aber ich habe sie im Anschluss auch wiederentdeckt und wieder habe ich sie verloren und dann wiederentdeckt… und ich werde sie sicherlich auch auf meinem weiteren Weg des Öfteren wieder verloren glauben, um sie dann wieder zu entdecken…
Es lohnt sich dran zu bleiben nach dem Scheitern. Nach dem Krone richten, sich wieder aufzumachen in das neue Unbekannte. Mit all den neuen Ressourcen, die ich aus jedem Scheitern mitnehmen kann. Mit all den Ressourcen, die ich jetzt in meinen Rucksack für den nächsten Schritt packe. Mit all den Dingen, die mir helfen mich selber zu spüren. Mit denen ich zur Ruhe kommen kann, mich sicher fühlen kann mit all dem was ist und wie ich gerade da bin… Mit meinen Zweifeln, meinen Ängsten einfach weiter zu gehen… Sie mitzunehmen, sie ernst zu nehmen und sie wiederum absolut gar nicht ernst zu nehmen…
Was ist das, was dich hält? Was dich weiter machen lässt? Was ist es, das dich deine Krone wieder richten lässt? Was ist es, das dich auf einem noch nicht sichtbaren und berechenbaren Weg hält?… Wenn dein Plan nicht hinhaut….? Wenn du raus gehst aus dem was der Normweg zu sein scheint?… Wenn du raus gehst aus der Idee immer mehr leisten zu müssen und bewusst neue Wege gehen willst?… Wenn du scheiterst und beim Scheitern merkst, dass du gar nicht wirklich scheiterst, sondern gerade nur eine anderen Weg einschlägst?
Wer entscheidet eigentlich, ob du scheiterst oder dich doch nur ganz banal umentscheidest?
Danke Günther Jauch „Scheitern ist wirklich wichtig!“