Egoismus und ansteckende Selbstwirksamkeit…
… Ein junges Mädchen steht vor ihrer Schule. Eine Kamera geht auf sie zu. „Was hältst du von der Idee, dass sich jeder junge Mensch nach seiner Schulzeit für ein Jahr lang in den Dienst der Allgemeinheit stellt – ein freiwilliges soziales Jahr, ökologisches Jahr, Wehrdienst?“ – Das Mädchen reagiert stutzig, zieht die Stirn kraus, scheint ein wenig verwirrt und antwortet kurz und knapp: „Gar nichts. Ich will endlich mal das tun, was ich will.“
Wie egoistisch diese Jugend heutzutage ist… Wie sie sich immer nur auf Kosten anderer amüsiert… Schlechtes Benehmen, keinen Ehrgeiz, fehlendes Verantwortungsgefühl. Die ganze Spirale der Vorurteile gegen die „heutige Jugend“ wird im Anschluss an diese Frage in einer Diskussion von vielen Seiten beleuchtet. Mögliche Gründe für dieses „Fehlverhalten“ werden gesucht: Liegt es an einer zu laschen oder gar zu strengen Erziehung im Elternhaus? Liegt es an zu wenig Zucht und Ordnung im Schulsystem? Liegt es an den sozialen Medien? – Dem hohen Medienkonsum? Liegt es an der immer schneller werdenden Welt, die viel zu viele Möglichkeiten für den Einzelnen bereit hält?
Junge Menschen heutzutage scheinen so betrachtet zu weniger Leistung im Stande, scheinen selbstverliebt und unsozial… kaum noch zu gebrauchen…Ist diese heranwachsende Generation abzuschreiben?
Ich habe darauf keine Antwort. Nur die klare Meinung, dass ein Abschreiben dieser jungen Menschen uns allen einfach mal so gar nicht nützt! Warum schauen wir nicht lieber hin statt aus dem Kontakt heraus zu gehen und unsere feste Meinung tief in unserem Hirn einzugraben? – So ist das und davon weiche ich nicht ab! Wieso nicht? – Lass uns doch mal raus gehen aus der Einfachheit der einseitigen Betrachtung. Lass uns mal hingucken!
Komplex scheint mir dieses ganze Gespräch der selbsternannten Experten. Die vielen Sichtweisen, Möglichkeiten, Gründe. Individuell sind die Antworten. Nicht pauschal abzuhandeln.
… und trotzdem möchte ich gerade einen Punkt setzen und diesen mit ein paar Fragen beginnen.
Wer hat eigentlich für dich in deiner Schulzeit entschieden?
Wer hat für dich entschieden, wo es lang zu gehen hat?
Wo gab es eigentlich einen Raum, in dem du dich als Mensch kennen lernen konntest?
Wo gab es eigentlich den Raum, in dem du spüren konntest was deine eigenen Talente sind?
Wo gab es jemanden, der sich mit dir zusammen auf die Reise begeben hat, um deinen inneren Kern zu entdecken und das, was du dieser Welt beitragen willst?
Für diese Schülerin hat es diesen Raum in ihrer gesamten Schulzeit vielleicht gar nicht gegeben?! Sie war vielleicht angehalten vor allem durch zu halten? – Und ersehnt aus diesem Grund so sehr den Moment herbei, endlich raus zu sein und überhaupt mal (wieder) ihren Weg selbst zu bestimmen.
Dieses Mädchen scheint mir persönlich gerade gar nicht so egoistisch zu sein… Dieses Mädchen scheint mir gerade vielleicht nur sehnsüchtig auf der Suche zu sein. Dieses Mädchen war vielleicht ihre bisherigen Schülerjahre ständig nur von fremden Antworten umgeben. – Von Menschen, die meinten zu wissen, was gut für sie sei. Die ihr Zeit und Aufwand abnehmen wollten und ihr dadurch schneller zu effizienterer Produktivität verhelfen wollten. Die ihr vielleicht das Ausprobieren, Fehler machen, Scheitern ersparen oder vorenthalten wollten. – Vorgefertigte Antworten konnte sie aber nie zu ihren eigenen machen, weil sie diese nie selbst erfahren und erlebt hat, sondern nur übernommen. Ihr fehlen die Sinneseindrücke… Vorgefertigte Antworten berühren nicht. Ihr fehlte vielleicht die Freude natürliche Zusammenhängen zu entdecken. Das Leben wirklich zu erfahren. Zwischen der Photosynthese und ihrem Honigbrot am Sonntag einen Zusammenhang zu entdecken. Ihr hat vielleicht jemand gesagt, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt sei, um das Schreiben zu lernen, obwohl sie noch gar nicht entdeckt hat wofür sie es gebrauchen könnte. Leider lernte sie erst ein Jahr später im Sommerurlaub auf Griechenland ihre Brieffreundin kennen und erfuhr erst nach viel sinnfreien Erfahrungen im Schreiberwerb, wofür es sich für sie persönlich lohnen würde das Schreiben zu erlernen. Diesem Mädchen wurden fremde Zeiten vorgegeben: 08 Uhr Schulbeginn – 15:00 Uhr Schulende – 12 Uhr 45 Minuten Mittagspause… Sie hat sich vielleicht jeden Morgen aus ihrem Bett rausgequält, obwohl ihr Biorhythmus ihr eher vorgeben würde um 10 Uhr das Arbeiten zu beginnen, weil sie da einfach wacher ist…
… Das bisherige Leben bestand für dieses Mädchen vielleicht aus unendlich vielen Kompromissen. Kompromisse, die ihre eigenen Bedürfnisse oft missachten mussten…
Wie gewöhnt sind wir als Erwachsener schon daran nicht mehr auf unsere Bedürfnisse zu hören? Sie wegzudrücken? Ihnen keinen Raum zu geben? Morgens aufstehen, kaputt sein, resigniert von unserer Arbeit. Den Einkauf für die Woche noch irgendwie in die Tagesplanung rein zu quetschen, gesundes Essen zu kochen, die Kinder zu musikalischen Früherziehung zu schicken, die Große noch schnell am Nachmittag verabreden – der sozialen Kontakte wegen. Ganz wichtig! Will deine Große denn überhaupt zur Schulfreundin, um dort gemeinsam Hausaufgaben zu machen und Trampolin zu springen?- Keine Ahnung, aber es machen ja auch andere so. – “Ist das denn normal?”, frag ich dich. Ist das das wie wir leben wollen und was wir unseren Kindern mitgeben möchten? Meinen wir, dass das unsere Kinder glücklich macht und unserer Welt zu einer guten Welt? – Was immer eine gute Welt in unseren Augen auch sein mag?!
Ist es unsere Vorstellung, dass wir in dieser Welt nur sicher sind, wenn wir uns über ein individuell erträgliches Maß hinaus fremd bestimmen lassen? Wenn wir uns alleine leiten lassen von den Vorgaben und Strukturen anderer? Geben wir denn nicht einfach nur unsere eigenen gemachten Erfahrungen an unsere Kinder weiter? Haben wir Erwachsenen nicht schon gelernt, dass es am Sonntag um 13 Uhr Mittag gibt und in der Woche jeden Abend gemeinsam gegessen wird. Hast du dich mal gefragt wer das überhaupt bestimmt? Wer will das denn? – Ist es eine Tätigkeit, die dir und deiner Familie wirklich etwas schenkt und echt glücklich macht? Oder ist es eine leere Hülle von Vorstellung wie etwas zu sein hat. Wie viel leere Hüllen sind in diesem Schulsystem eigentlich zu finden? Und wie viel hat dieses Mädchen davon entdeckt? Resultiert ihre Aussage aus einer völligen Frustration und Erschöpfung sich so lange an den Vorstellung anderer orientiert zu haben?
Sehnt sich dieses Mädchen nach einer Zeit, in der sie diese Fremdbestimmung loslassen kann? – Wir sind alle diesem Kompromiss ausgesetzt: Der Kompromiss zwischen unseren eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen im Außen. Können wir ihn halten? In Kontakt mit uns selbst und den Menschen da draußen gleichzeitig zu sein?
“Ist das egoistisch?”, frage ich dich nun, oder leistet sie damit einen wichtigen Beitrag für eine gesündere Welt, indem sie ihre Bedürfnisse wahrnimmt und sie ausspricht? Geht es nicht darum uns wieder als Subjekte zu begegnen, uns gegenseitig Raum zu lassen, um selbstverbunden in Kompromisse zu gehen? Was ist noch haltbar für mich? Wo kann ich nicht mehr mitgehen? Wo kann ich dazu lernen und wo geht es über mein Limit gerade hinaus? Wann habe ich einfach nur „Null Bock“? Und wann habe ich sorgsam abgewogen und gespürt, dass ich gerade wirklich etwas anderes brauche? Ist das nicht die wahre Kompetenz? Und ermöglicht uns diese Kompetenz nicht erst, dass ich nicht andere fremd bestimmen muss, um meine eigene Frustration fremdbestimmt zu sein, ruhig zu stellen? Es bleibt komplex und nicht pauschal zu beantworten.
Dieses Mädchen ist vielleicht froh diese Zeit rum bekommen zu haben und sieht endlich ein Licht am Ende des Tunnels – Raus aus der Fremdbestimmung, rein in die Reise zu mir selbst… und ist das nicht unsere Aufgabe als Eltern unsere Kinder dabei kompetent zu begleiten sich selber zu finden und zu lernen, wie wir es schaffen uns zu unserem Wohle und zum Wohle der anderen auszudrücken und mitzuteilen?