„Frisörtermin? – Gestrichen!?“

„Frisörtermin? – Gestrichen!?“

…schießt es Lena durch den Kopf. Nur wehmütig betrachtet sie ihre Haare, die schon lange keine professionelle Pflege, geschweige denn eine Schere gesehen haben… und wieder kommt ein Termin der Kinder dazwischen.

Ich gucke auf den Bildschirm und verfolge den inneren Monolog der Protagonistin des wirklich schnulzigen Liebesfilms, den ich gerade so nebenbei laufen lasse. Mein Tag war anstrengend und ich habe es nach dem Insbettbringen meiner Kinder nur noch aufs Sofa geschafft. Und deswegen lausche ich nur so mit einem halben Ohr hin was Lena da so durch den Kopf geht.

Dieses Bild, was Lenas innere Stimme gerade in mir triggert, lässt mich aufhorchen und kurz inne halten…

Erst vor Kurzem telefonierte ich mit einer wunderbaren Mama. In diesem Gespräch fiel der Satz, der es gerade so wunderbar auf dem Punkt bringt und mich zu tiefst mit Lena mitfühlen lässt:

Wenn die Termine auflaufen, dann kürze ich als erstes bei mir. Da muss ich nur mit mir diskutieren.“

So scheint es doch zu sein, oder? Wie leicht es ist sich nur der Diskussion mit sich selbst zu stellen, in der es ein Leichtes ist die aufkommenden Argumente für die Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisse unkommentiert beiseite zu schieben? Wie gerne würden wir aber den direkten Konflikt im Kontakt mit unseren Kindern, Freunden, Eltern oder Partnern vermeiden? Ist es nicht genau dieses „Einstehen für sich und seine Bedürfnisse vor anderen“, was es so schwer macht und so schwer auszuhalten ist? Setzt das nicht voraus, dass ich mich vor einer Diskussion tief mit mir und meinen Bedürfnissen beschäftigt habe, um auch mit Klarheit dafür einstehen zu können und sie kundzutun. Sind uns also unsere Bedürfnisse nur einfach allzu oft nicht präsent, zu wenig greifbar und deswegen so schwer vor anderen zu vertreten? – Haben wir vielleicht aber auch nur zu gut verinnerlicht, dass es stets gilt vor allem die Wünsche des anderen zu respektieren und wertzuschätzen? Scheint es nicht so, als würden wir den Bedürfnissen anderer stets mehr Wertschätzung, Beachtung und somit auch mehr Raum in unseren ganz konkreten Entscheidungen geben? – Sind unsere eigenen Bedürfnisse es vielleicht einfach nicht Wert genug? Scheinen wir uns selber einfach nicht wichtig genug? – Scheint es daran zu liegen, dass die anderen ihre Bedürfnisse einfach nur deutlich aussprechen und sie dadurch greifbarer machen? Weil wir nur allzu gut gelernt haben, dass das oberste Gebot sei bitte vor allem auf das Wohl anderer zu achten und erst danach Platz für uns selbst einzurichten?

Scheinen wir sonst zu egoistisch?

Eines kann ich sagen: „Das permanente Achten auf andere ist ein Fulltime-Job, der mich selber an Grenzen gebracht hat, die ich wohl kennenlernen musste, um zu spüren, dass ein Leben in diesem Extrem nicht funktioniert. Wo bleibt dann noch Raum, um auf mich zu achten?… Und sind wir als Gesellschaft nicht mittlerweile an einem Punkt, an dem wir verlernt haben gut auf uns selber zu achten? – Jeder Einzelne auch für sich… Dass wir deswegen die Diskussion mit unserem Partner, Eltern oder Kindern… so schwer finden, weil dies bedeutet und voraussetzt, dass ich mir Zeit und Raum nehme, um in mich hinein zu spüren, wie wichtig mir selber etwas eigentlich ist und wie viel Energie ich in die Wertschätzung meiner eigenen Bedürfnisse setzen möchte? – Es bedeutet vielleicht auch, dass auch ich die Wahl habe kompliziert zu sein.

Kompliziert zu sein ist nicht so angesagt in dieser Gesellschaft, oder?! – Zumindest nicht bei Menschen.

Wie oft übernehmen vor allem wir Mütter ungefragt Dinge und Aufgaben, weil sie einfach so von unseren Mitmenschen in den Raum geschmissen werden. Weil wir glauben, dass wir nur selber es jetzt am besten regeln können? Weil wir es vielleicht auch nicht aushalten können und meinen uns hinstellen zu müssen und uns dafür zu rechtfertigen, dass wir wie selbstverständlich all die Aufgaben in unserer Umwelt nicht einfach sofort an uns gerissen haben und so die Herausforderungen der Anderen gleich mit aus dem Weg geräumt haben.

Wir wollen nicht diskutieren… und wenn wir ehrlich sind nicht mal mit uns selbst… Aber mit uns selber die dringend notwendige Diskussion zu übergehen und mit uns selber aus dem Kontakt zu gehen scheint leichter als in einen Konflikt mit anderen zu gehen.

Was würde passieren, wenn wir uns trauen würden ganz bewusst diesem, unserem eigenen Bedürfnis, mehr Aufmerksamkeit zu schenken und dem nachzugeben… und es gleichzeitig unseren Mitmenschen zuzumuten würden, es auszuprobieren ihre Bedürfnisse kundzutun und voller Selbstwirksamkeit zu vertreten?…

Was für ein Geschenk ist das denn bitte?

Was für ein Geschenk ist das für mein Kind, wenn ich es ihm zumute seine machbaren und handhabbaren Aufgaben alleine zu bewältigen? – Auch wenn mein Kind dies kurzzeitig sicherlich ganz anders sieht, schenke ich meinem Kind mein tiefes Vertrauen in seine innere Qualität. Dass es einen Weg findet seine Bedürfnisse wahrzunehmen, sie anderen gegenüber kundzutun und es auch in diesem ganzen Netz anderer eigener und fremder Bedürfnisse einzuordnen.

Könnte ich jetzt mit Lena ihren inneren Monolog führen, würde ich sie fragen, ob nicht ein riesiges Geschenk für ihr Kind darin liegt, dass sie genau jetzt zum Frisör geht und sich ihre Haare so wunderschön machen lässt, wie ihr Bedürfnis es schon lange schreit…

… Lenas Antwort? – Die kennt nur Lena… Sie sortiert vermutlich im Austausch mit anderen ihr Bedürfnis in diesem großen Netz aller Bedürfnisse ein. Den wahren und tiefen Wert ihres eigenen Bedürfnisses kennt. Nur sie und das Netz ist nicht mehr sicher und stabil, wenn genau bei ihrem Bedürfnis immer ein Loch stehen bleibt …

…Spannende Reise in uns selber und im Netz dieser Welt…

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